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Optimale Risiko-Strategien –​ vom Fußballfeld zum Chefsessel​

von Prof. Dr. Stefan Ankirchner
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Foto: Tevarak Phanduang

Liegt eine Profi-Fußballmannschaft gegen Ende eines Spiels zurück, so wechselt sie häufig zu einer offensiveren Spielweise. Zum Beispiel kann man oft beobachten, dass ein Verteidiger gegen einen Stürmer ausgetauscht wird. Durch den zusätzlichen Stürmer wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die eigene Mannschaft noch ein Tor erzielt. Es erhöht sich jedoch auch die Trefferwahrscheinlichkeit des Gegners, da nun mit weniger Spielern verteidigt wird.

Auch wenn die Trefferwahrscheinlichkeit des Gegners um mehr steigt als die der eigenen Mannschaft, ist es bei einem Rückstand sinnvoll, gegen Ende des Spiels zu einer offensiveren Strategie zu wechseln. Ein weiterer Gegentreffer ist nicht tragisch, weil man sowieso bereits hinten liegt. Gelingt allerdings der Ausgleich, dann fährt man mit Punkten nach Hause. Intuitiv mag klar sein, dass die zurückliegende Mannschaft gegen Ende offensiver spielen sollte. Doch ab wann genau sollte sie dies tun? Diese Frage kann man mit Methoden der Wahrscheinlichkeitstheorie und stochastischen Optimierung beantworten.

Nur noch ein Wechsel möglich

Bild 1: Wahrscheinlichkeit für die Anzahl der Tore einer Mannschaft in 90 Minuten

Bild: Stefan Ankirchner

Wir betrachten ein Modell, in dem die eigene Mannschaft einmalig einen Verteidiger gegen einen Stürmer auswechseln kann. Vor dem Wechsel seien beide Mannschaften gleich stark. Die Anzahl der Tore, die jede Mannschaft erzielt, hochgerechnet auf 90 Minuten, wird im Bild 1 illustriert. In der Sprache der Wahrscheinlichkeitstheorie bedeutet dies: die Anzahl erzielter Tore ist Poisson-verteilt mit Parameter 1.

Nach dem Wechsel erzielt die eigene Mannschaft im Durchschnitt doppelt so viele Tore, der Gegner allerdings viermal so viele. Die Anzahl erzielter Tore der eigenen Mannschaft, hochgerechnet auf 90 Minuten, ist durch das linke Histogramm im folgenden Bild illustriert. Das Histogramm auf der rechten Seite beschreibt die hochgerechnete Anzahl der gegnerischen Tore.

Bild 2: Links: Torverteilung der eigenen Mannschaft nach der Auswechslung. Rechts: Verteilung des Gegners nach der Auswechslung

Bild: Stefan Ankirchner

Mit Hilfe einer Optimierungsmethode (genauer: mit Hilfe der Methode der dynamischen Programmierung) kann man die optimale Wechselminute in Abhängigkeit der Tordifferenz bestimmen.
Liegt man ein Tor hinten, dann sollte man zu Beginn der 75. Spielminute wechseln. Bekommt man nach der 75. Minuten irgendwann einen Gegentreffer und liegt dadurch hinten, dann sollte man sofort nach dem Gegentreffer wechseln. Liegt man zwei Tore zurück, dann sollte man bereits zu Beginn der 59. Spielminute wechseln. Bei 3 Toren Rückstand ist ein Wechsel bereits in der 42. Minute optimal. Diese Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst.

Rückstand Wechsel optimal ab Minute
1 Tor 75
2 Tore 59
3 Tore 42

Mehrere Wechsel möglich

Eine Annahme des beschriebenen Modells ist, dass wir nur 1 Mal wechseln können und die Auswechslung nicht reversibel ist. In einigen Situationen mag diese Annahme passend sein, zum Beispiel wenn bereits mehrmals gewechselt wurde und die Mannschaft in der Tat nur noch einmal wechseln darf. Es gibt allerdings auch Spiele, auf die diese Annahme nicht zutrifft. Man stelle sich eine Mannschaft vor, die einen Spieler hat, den man sowohl als Verteidiger als auch als Stürmer einsetzen kann. In diesem Fall ist es kein Problem mehrmals zwischen der offensiven und defensiven Strategie zu wechseln.

Unsere Berechnungen zeigen, dass man in diesem Fall bei einem Rückstand bereits früher zu der offensiven Strategie wechselt. Die folgende Tabelle fasst zusammen, ab welcher Minute ein Wechsel optimal in Abhängigkeit von der Höhe des Rückstands ist.

Rückstand Wechsel optimal ab Minute
1 Tor 59
2 Tore 32
3 Tore 7

Universelle Strukturen

Freiwillige Wechsel zu Strategien, die ein höheres Risiko implizieren, findet man nicht nur im Sport. Zum Beispiel hat man beobachtet, dass die Risikobereitschaft mancher Tiere bei der Futtersuche von den Energiereserven abhängen: je geringer die Energiereserven sind, desto eher ist ein Tier bereit Risiko einzugehen, um neues Futter zu finden.

Man kann zeigen, dass Bonuszahlungen Manager dazu verleiten, sich wie Tiere bei der Futtersuche zu verhalten. Je schlechter das Unternehmen läuft, desto mehr Risiko ist der Manager geneigt einzugehen, um die Unternehmensperformance zu verbessern und damit noch in den Genuss eines Bonus zu kommen.

Mit Wahrscheinlichkeitstheorie und stochastischer Optimierung kann man gemeinsame Strukturen im Verhalten von Fussballmannschaften, Tieren und Managern aufdecken. Wahrscheinlickeitstheorie und stochastische Optimierung sind Forschungsschwerpunkte des Instituts für Mathematik der FSU Jena und auch Schwerpunkte in unseren Studiengängen Mathematik und Wirtschaftsmathematik.

Stefan Ankirchner, Univ.-Prof. Dr.
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Professur für Stochastische Analysis
Stefan Ankirchner
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